Jede/r Fünfte in Deutsch­land von Ar­mut oder sozi­aler Aus­gren­zung betrof­fen

WIESBADEN – Etwa jede/r Fünfte (19,9 %) in Deutschland – das sind rund 16 Millionen Menschen – war 2011 von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen (2010: 19,7 %). Dieser Indikator ist neben der Armutsgefährdungsquote ein weiteres wichtiges Ergebnis der Erhebung LEBEN IN EUROPA 2011, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt. Armut oder soziale Ausgrenzung ist nach der Definition der Europäischen Union (EU) gegeben, wenn bei den befragten Haushalten eines oder mehrere der drei Kriterien „Armutsgefährdung“, „erhebliche materielle Entbehrung“, „Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung“ vorliegen.

 

Im Jahr 2011 setzte sich der Indikator wie folgt zusammen: die Armutsgefährdungsquote lag bei 15,8 %, 5,3 % der Bevölkerung waren von erheblicher materieller Entbehrung betroffen, und 11,1 % der Personen lebten in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung.


Die EU hat diesen Sozialindikator eingeführt, um die Fortschritte der Europäischen Sozialpolitik bei der Verminderung von Armut und sozialer Ausgrenzung in der EU, einem Kernziel der sogenannten „Strategie Europa 2020“, zu messen. Die Möglichkeiten der sozialen Teilhabe sind bei den Betroffenen sehr eingeschränkt: Sie können aus finanziellen Gründen heraus beispielsweise ihre laufenden Rechnungen nicht begleichen, nicht mindestens jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit einnehmen, keine notwendigen Anschaffungen tätigen, sich keine Urlaubsreise oder keinen Pkw leisten (siehe methodische Erläuterungen).

 

Frauen waren mit einer Quote von 21,3 % im Jahr 2011 häufiger von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffen als Männer (18,5 %). Während die unter 18-Jährigen mit einer Quote von 19,9 % dem Bundesdurchschnitt entsprachen, waren ältere Menschen ab 65 Jahren seltener (15,3 %) und Personen zwischen 18 und 64 Jahren häufiger (21,3 %) betroffen.

 

Weitere Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA 2011 sowie methodische Erläuterungen und Publikationen sind auf den Internetseiten verfügbar.

 

Das Statistische Amt der Europäischen Gemeinschaften (Eurostat) veröffentlicht die Ergebnisse aller an EU-SILC (European Union Statistics on Income and Living Conditions) teilnehmenden Länder in seiner Datenbank. Durchschnittswerte für die EU-27 als Ganzes – zum Beispiel für den Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffenen Bevölkerung – sind derzeit noch nicht verfügbar. Sie können von Eurostat erst dann ermittelt werden, wenn die Ergebnisse aus allen 27 Mitgliedstaaten vollständig verfügbar sind.

 

Für weitere amtliche EU-Statistiken steht der Europäische Datenservice (EDS) www.eds-destatis.de zur Verfügung.

 

Ergebnisse aus LEBEN IN EUROPA 2011 für ausgewählte Sozialindikatoren

 

Von Armut oder sozialer Ausgrenzung5 betroffene Bevölkerung 2011

Geschlecht/Alter Insgesamt
darunter


armutsgefährdet6 erheblich materiell depriviert7 in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung8



in %
Insgesamt 19,9 15,8 5,3 11,1
Frauen 21,3 16,8 5,7 11,8
Männer 18,6 14,9 5,0 10,4
unter 18-Jährige 19,9 15,6 5,4 9,8
Frauen 21,5 16,8 5,7 9,8
Männer 18,6 14,6 5,2 7,6
18- bis unter 65-Jährige9 21,3 16,4 6,0 11,8
Frauen 22,4 17,0 6,3 12,3
Männer 20,1 15,9 5,7 11,3
65-Jährige und Ältere 15,3 14,2 3,2 — 610
Frauen 17,4 16,2 3,9 — 610
Männer 13,0 12,0 2,5 — 610

 

5) Es liegen eines oder mehrere der folgenden drei Kriterien vor: Armutsgefährdung; erhebliche materielle Entbehrung; Zugehörigkeit zu einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung

6) Bezogen auf das Vorjahr der Erhebung (Einkommensjahr 2010). Berechnungsgrundlage für Armutsgefährdung: 60%-Median, modifizierte OECD-Skala.

7) Bezogen auf das Erhebungsjahr (2011). Nach der Selbsteinschätzung der Befragten sind mindestens vier von neun Deprivationskriterien erfüllt (Beschreibung der Kriterien: siehe methodische Erläuterungen).

8) Bezogen auf das Vorjahr der Erhebung (Einkommensjahr 2010) und auf Personen im Alter von bis zu 59 Jahren. Die Erwerbsbeteiligung des Haushalts beträgt weniger als 20 % der maximal möglichen (potenziellen) Erwerbsbeteiligung.

9) Bei Haushalten mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung: Personen im Alter von bis zu 59 Jahren.

10) Der Indikator ist für diese Altersgruppe nicht definiert.

 

Methodische Erläuterungen zur Erhebung LEBEN IN EUROPA sowie zur Berechnung von Armutsgefährdung und sozialer Ausgrenzung:


EU-SILC (englisch: Community Statistics on Income and Living Conditions) ist die EU-weit vergleichbare Datenquelle über Einkommen, Armut und Lebensbedingungen in Europa. Für die Statistik gelten in allen Mitgliedstaaten einheitliche Definitionen sowie methodische Mindeststandards. Die amtliche Erhebung, deren Durchführung und Aufbereitung den Mitgliedstaaten obliegt, wird in Deutschland seit 2005 jährlich unter der Bezeichnung LEBEN IN EUROPA durchgeführt.

 

Ein Kernindikator, der aus LEBEN IN EUROPA ermittelt wird, ist die Armutsgefährdungsquote. Sie gibt an, wie hoch der Anteil der armutsgefährdeten Personen an der Gesamtbevölkerung ist. Zur Berechnung der Armutsgefährdungsquote wird zunächst das von allen Haushaltsmitgliedern tatsächlich erzielte Haushaltseinkommen des Vorjahres herangezogen (bei LEBEN IN EUROPA 2011 bezieht sich das Haushaltseinkommen auf das Jahr 2010). Es setzt sich zusammen aus dem Einkommen aus selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem Einkommen aus Vermögen, Renten und Pensionen sowie empfangenen laufenden Sozialtransfers – wie zum Beispiel Arbeitslosengeld, Sozialhilfe oder Kindergeld. Direkte Steuern und Sozialbeiträge sind abgezogen. Dieses Haushaltseinkommen wird auf die Personen des Haushalts nach einem Gewichtungsschlüssel (Äquivalenzskala) verteilt, der unterschiedliche Haushaltsstrukturen berücksichtigt sowie den Umstand, dass Personen in einem Haushalt durch das Zusammenleben Einspareffekte bei den laufenden Kosten erzielen.

 

Die Äquivalenzskala weist jeder Person im Haushalt ein Gewicht zu. Nach der modifizierten OECD-Skala, die bei EU-SILC angewendet wird, erhält die erste erwachsene Person stets das Gewicht 1. Jede weitere Person erhält ein Gewicht, das die Größenordnung des Mehrbedarfs berücksichtigen soll, der durch diese Person entsteht: Weitere Erwachsene und Kinder ab 14 Jahren erhalten das Gewicht 0,5, Kinder unter 14 Jahren das Gewicht 0,3. So ergibt sich bei einer Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren beispielsweise das Gesamtgewicht 2,1. Das verfügbare Haushaltseinkommen wird nun durch die Summe der Gewichte dividiert. Das so ermittelte Einkommen der Personen wird als „bedarfsgewichtetes Äquivalenzeinkommen“ bezeichnet und jeder Person im Haushalt als persönliches Äquivalenzeinkommen zugeschrieben. Zu beachten ist, dass es sich beim Äquivalenzeinkommen um eine fiktive Rechengröße handelt.

 

Um das mittlere Einkommen zu ermitteln, wird der Median (Zentralwert) verwendet. Dabei werden die Personen ihrem Äquivalenzeinkommen nach aufsteigend sortiert. Der Median ist der Einkommenswert derjenigen Person, die die Bevölkerung in genau zwei Hälften teilt. Das heißt, die eine Hälfte hat mehr, die andere weniger Einkommen zur Verfügung. 60 % dieses Medianwertes stellen den Schwellenwert für Armutsgefährdung dar.

 

Im Frühjahr 2010 beschloss der Rat der Europäischen Union die Strategie Europa 2020. Eines der Kernziele der Europäischen Union ist dabei die Verminderung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Für die Messung der Gefährdungslagen wurden zusätzlich zur Armutsgefährdungsquote zwei weitere Sozialindikatoren auf der Grundlage von EU-SILC eingeführt: der Anteil der Bevölkerung mit erheblicher materieller Entbehrung (auch: erhebliche materielle Deprivation) und der Anteil der Personen, die in einem Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung (auch: Erwerbslosenhaushalt) leben.

 

Erhebliche materielle Entbehrung liegt nach der EU-Definition für EU-SILC dann vor, wenn aufgrund der Selbsteinschätzung des Haushalts mindestens vier der folgenden neun Kriterien erfüllt sind:

 

  1. Finanzielles Problem, die Miete oder Rechnungen für Versorgungsleistungen rechtzeitig zu bezahlen.
  2. Finanzielles Problem, die Wohnung angemessen heizen zu können.
  3. Finanzielles Problem, unerwartete Ausgaben in einer bestimmten Höhe aus eigenen finanziellen Mitteln bestreiten zu können.
  4. Finanzielles Problem, jeden zweiten Tag Fleisch, Fisch oder eine gleichwertige vegetarische Mahlzeit einnehmen zu können.
  5. Finanzielles Problem, jährlich eine Woche Urlaub woanders als zu Hause zu verbringen.
  6. Fehlen eines Pkw im Haushalt aus finanziellen Gründen.
  7. Fehlen einer Waschmaschine im Haushalt aus finanziellen Gründen.
  8. Fehlen eines Farbfernsehgeräts im Haushalt aus finanziellen Gründen.
  9. Fehlen eines Telefons im Haushalt aus finanziellen Gründen.

 

Ein Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung liegt nach der EU-Definition für EU-SILC dann vor, wenn die tatsächliche Erwerbsbeteiligung (in Monaten) der im Haushalt lebenden, erwerbsfähigen Haushaltsmitglieder im Alter von bis zu 59 Jahren insgesamt weniger als 20 % ihrer potenziellen Erwerbsbeteiligung beträgt. Ein Beispiel: Bei drei Erwerbstätigen zwischen 18 und 59 Jahren im Haushalt beträgt die potenziell mögliche Erwerbsbeteiligung insgesamt 36 Erwerbsmonate im Ein­kommensjahr. Die Erwerbsbeteiligung der drei Personen darf dann insgesamt den Wert „7,2 Erwerbsmonate“ (= 20 % von 36 Monaten) nicht unterschreiten. Das wäre zum Beispiel erfüllt (eine mögliche Variante), wenn eine der drei Personen mindestens 7,2 Monate lang erwerbstätig war und die anderen beiden Personen jeweils nicht erwerbstätig waren. Wird der Grenzwert von 7,2 Monaten in die­sem Fallbeispiel unterschritten, so handelt es sich um einen Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung.

 

Armut oder soziale Ausgrenzung ist nach der EU-Definition für EU-SILC dann gegeben, wenn eines oder mehrere der drei Kriterien „Armutsgefährdung“, „erhebliche materielle Entbehrung“, „Haushalt mit sehr geringer Erwerbsbeteiligung“ vorliegen.

 

Quelle: destatis – Statistisches Bundesamt

 

Anmerkung:

 

Das „Armutsrisiko“ steigt -seit seiner erstmaligen Erhebung in 2005- kontinuierlich von damals 12,2% auf jetzt 15,8% der Bevölkerung an.

 

Das ist letztlich Ergebnis einer im Kapitalismus gesetzmäßigen Entwicklung aufgrund des Bevölkerungsgesetzes und der Überproduktionskrisen und der internationalen Strukturkrise auf Basis der Neuorganisation der internationalen Produktion (sog. „Globalisierung“). Diese führen gesetzmäßig zu Dauerarbeitslosigkeit, Unterbeschäftigung und Massenelend

 

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch die internationale Zusammenarbeit der Verbände der Konzerne. Die Kürzungen der Renten, die Heraufsetzung des Renteneintrittsalters, die Erweiterung der Abzüge und die Privatisierung staatlicher Leistungen mit der Folge der Verschlechterung und Verteuerung der Gesundheitsversorgung der breiten Massen oder der Kürzungen im Bildungswesen – all das sind Programme der European Round Table. Hier entscheidet ein exklusives Gremium von 50 Vorstands- und Aufsichtsratsvorsitzenden europäischer Konzerne oder kleinerer internationaler Konzerne aus 18 europäischen Staaten letztlich über unsere Lebenslage in der Zukunft. Auch die Strategie „Europa 2020″ geht auf ein Positionspapier des ERT mit dem Titel „Vision für ein wettbewerbsfähiges Europa im Jahr 2025″ zurück. So ist es z.B. politischer Wille des ERT, dass Patienten

 

„künftig für ihre eigenen Gesundheitskosten haften müssen, anstatt den Regierungen die Rechnung zu überlassen (zitiert nach: Euractiv: Großunternehmen wollen Reformen überwachen EU 2020: Konzerne ziehen Politiker zur Verantwortung

Man kann daran erkennen, dass der ERT ein politisches Machtzentrum der Konzerne zur Durchsetzung vor allem der besonderen Interessen der in ihm organisierten europäischen und kleineren internationalen Konzerne ist. Die besondere Rolle des ERT besteht in der Koordinierung der Aktivitäten seiner Mitglieder und in der Entwicklung der europäischen Industrie im Sinne der Profitmaximierung.

 

Hiergegen richtet sich der Kampf um soziale Errungenschaften, den die Montagsdemo Nürnberg seit nunmehr acht Jahren führt.

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